Guter Ganztag braucht
die Mitbestimmung der Kinder!

Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter ab 2026 wird neben dem quantitativen Ausbau insbesondere eine qualitative Weiterentwicklung von Ganztagsbildung angestrebt. Der Fokus auf Qualität bietet die Chance, stärker als bisher die Perspektiven der Kinder bei der Gestaltung von Ganztag zu berücksichtigen und sie als wichtige Akteure im Qualitätsentwicklungsprozess ernst zu nehmen.

Kinder an die Macht!

In vielen Ganztagskontexten werden Perspektiven und Wünsche der Kinder durch Befragungen und Gesprächsrunden ermittelt und fließen in Qualitätsentwicklungsprozesse ein.

Insbesondere während der Corona-Pandemie wurde den Perspektiven und Belastungen von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Im Mittelpunkt stand vor allem ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler und die Vermeidung von Lernrückständen. Zunehmend wird die Forderung laut, Belange der jüngeren Generation zukünftig stärker zu berücksichtigen (Ad-Hoc-Empfehlung des deutschen Ethikrats).

Schule ist für Kinder und Jugendliche ein zentraler Lebensort, an dem sie einen Großteil ihrer Zeit verbringen. Dieser Ort wird vor allem von Erwachsenen und ihren Perspektiven gestaltet. Umso wichtiger ist es, dass die Bedürfnisse und Interessen der Kinder und Jugendlichen bei der Ausgestaltung der Ganztagsbildung stärker einbezogen werden.

Ein Recht auf Mitbestimmung und Beteiligung findet sich neben der UN-Kinderrechtskonvention u. a. auch in den Schulgesetzen. Mit der Verankerung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im SGB VIII ist die Beteiligung von Kindern als Leitprinzip der Kinder- und Jugendhilfe impliziert. Für eine qualitative Weiterentwicklung von Ganztagsbildung bedeutet dies eine notwendige Orientierung von Ganztagskonzepten an den Rechten, Bedarfen und Interessen der adressierten Kinder und Jugendlichen.

Ansatz einer kind- und jugendorientierten Ganztagsbildung

Die stärkere Berücksichtigung von Perspektiven und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen wird im Ansatz einer kind- und jugendorientierten Ganztagsbildung aufgegriffen. In einem kürzlich erschienenen Sammelband der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW wird eine kind- und jugendorientierte Ganztagsbildung entlang der Kernthemen Partizipation, Lebenswelt- und Sozialraumorientierung beschrieben.

Der Ansatz orientiert sich an sozialpädagogischen Prinzipien und nimmt die individuellen Bedürfnisse der Heranwachsenden und ihre objektiven altersbezogenen Bedarfe als Ausgangspunkt für die Gestaltung von Ganztagsbildung. Dies bedeutet nicht, dass alle Wünsche der Kinder und Jugendlichen auch realisiert werden. Die subjektiven Bedürfnisse und entwicklungsbezogenen Bedarfe stehen in einem Spannungsverhältnis zu gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen an Schule und Ganztag. Entscheidungen zur Ausgestaltung der Ganztagsbildung werden dabei im Dialog aller Beteiligten ausgehandelt.

Partizipationsmöglichkeiten im Ganztag

Wichtige Leitprinzipien von Partizipation sind die Freiwilligkeit und Transparenz darüber, welche Partizipationsspielräume zur Verfügung stehen und wo begründete Grenzen der Beteiligung liegen. Partizipationsspielräume im Ganztag reichen von niedrigschwelligen Beteiligungsmöglichkeiten wie der Raumgestaltung bis hin zur Mitbestimmung bei der Wahl außerschulischer Kooperationspartner oder konkreter Lehr- und Lernsettings.

In vielen Ganztagskontexten werden bereits Perspektiven und Wünsche der Kinder durch Befragungen und Gesprächsrunden ermittelt und fließen in Qualitätsentwicklungsprozesse ein. Neben anlassbezogenen und situativen Beteiligungsmöglichkeiten, bestehen im Schulkontext Strukturen zur Mitwirkung wie Schülerparlamente, Klassenräte, Schülervertretungen oder in Person von Klassensprecherinnen und Klassensprechern.

Um Partizipationsspielräume zu erweitern, bietet es sich an, nicht nur naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen. Dabei ist eine thematische und methodische Offenheit bei der Erhebung und Umsetzung von Bedarfen der Kinder und Jugendlichen wichtig. Methoden der Partizipation sollten altersgerecht sein und können durch Medien unterstützt werden. Einen Einblick zu Partizipationsmöglichkeiten im Ganztag, Fragen zur Reflexion sowie methodische Anregungen gibt die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW auf ihrer „Quigs“-Webseite zum Kernelement Partizipation.

Um individuelle Bedürfnisse und Interessen der Kinder zu erkennen und zu reflektieren, braucht es neben fachlichen und methodischen Kompetenzen eine partizipative Grundhaltung. Im ESF Plus-Programm „Gemeinsam für Qualität. Kinder beteiligen im Ganztag“ des BMFSFJ wird derzeit ein modellhaftes Fortbildungscurriculum zur Beteiligung von Grundschulkindern erprobt. Im Rahmen der Tandem-Qualifizierung von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften ist das partizipative Rollenverständnis grundlegend für die Begleitung einer partizipativen und demokratischen Ganztagsschulentwicklung. Beteiligung muss von allen Professionen mitgetragen werden und braucht eine Verankerung im Ganztagskonzept.

Guter Ganztag aus Sicht der Kinder

Was bedeutet Qualität im Ganztag aus Sicht der Kinder? Wissenschaftliche Erkenntnisse liegen aus einer Reihe von Studien vor. Hier zeigt sich, dass für Kinder insbesondere die Themen Partizipation, Autonomie, Begegnung mit Gleichaltrigen, Spiel und Bewegung, soziales Klima, Rückzugsräume sowie kognitive Anregung relevante Themen im Ganztag sind. In der Untersuchung von Walther, Nentwig-Gesemann und Fried (2021) wurde guter Ganztag aus Kindersicht entlang von vier Qualitätsbereichen herausgearbeitet:

  1. die Gestaltung positiver pädagogischer Beziehungen
  2. die Gestaltung einer positiven Peer-Kultur
  3. die produktive Bearbeitung von Themen und Aufgaben der mittleren und späten Kindheit
  4. die Erweiterung des Bildungsraums Schule/Ganztag in die Natur und die Außenwelt

Bei der explorativen Untersuchung kamen vielfältige Erhebungsmethoden zum Einsatz, darunter malbegleitende Interviews, Fotospaziergänge und Gruppendiskussionen.

Mehr über die Perspektive der Kinder erfahren?

In einem Vortrag erläutert Prof. Markus Sauerwein, Professor an der Hochschule Nordhausen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Kinderperspektiven auf den Ganztag.

Ganztag weiterentwickeln – Unterstützungspotentiale des Bildungsmanagements nutzen

Ganztagsbildung ist in die kommunale Bildungslandschaft eingebettet, in der die Kommunalverwaltung zunehmend Aufgaben übernimmt, die über die Funktion als Schulträger hinausgehen. Mitarbeitende im kommunalen Bildungsmanagement bzw. dem Bildungsbüro können für Themen der kind- und jugendorientierten Ganztagsbildung wie Kinderrechte, Partizipation und einem weiten Bildungsverständnis sensibilisieren.

Weitere Unterstützungspotentiale liegen u. a. in der Wissensverbreitung zu konkreten Partizipationsmöglichkeiten im Ganztag, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Beispielen guter Praxis. Eine übergreifende Bildungskoordination auf der kommunalen Ebene kann abgestimmte Prozesse und neue Strukturen der Qualitätsentwicklung initiieren und begleiten sowie schul- und trägerübergreifende Vernetzungen moderieren.

Auch die Beratung bei Planung und Durchführung von Befragungen zur Ermittlung von Perspektiven der Schülerinnen und Schüler oder die Erhebung des Fortbildungsbedarfs der Fachkräfte im Ganztag sind nutzbare Unterstützungspotentiale eines kommunalen Bildungsmanagements bei der Umsetzung einer kind- und jugendorientierten Ganztagsbildung.

Kontakt

Franciska Mahl, Wissenstransfer

Tel.: 0345-6817817 E-Mail: mahl@dji.de

Mehr zum Thema

Sammelband

Der von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW (SAG) verfasste Sammelband „Kind- und jugendorientierte Ganztagsbildung – Impulse für die pädagogische Praxis und die Wissenschaft“ widmet sich den Fragen: Was verstehen wir unter Kind- und Jugendorientierung, wie legen wir den Begriff Ganztagsbildung aus, welche Themen und Ansätze sind in diesem Kontext wichtig?

Studie

Was zeichnet aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter einen guten Ganztag aus? Welche Erfahrungen und Erlebnisse sind für sie von Bedeutung? Worüber beschweren sie sich, was loben sie und welche Verbesserungsvorschläge machen sie? Diesen Fragen hat sich das Forschungsteam Bastian Walther, Iris Nentwig-Gesemann und Florian Fried gewidmet und Kindern dazu das Wort gegeben.

Fortbildung

Am 15. März 2023 trafen sich in den Franckeschen Stiftungen Ganztags-Interessierte aus mitteldeutschen Kommunen, um sich über die Weiterentwicklung von Ganztagsangeboten auszutauschen. Zu Gast waren Verantwortliche aus den Kommunalverwaltungen der Bereiche Bildung, Kindertageseinrichtungen, Schule, Fachplanung und Fachberatung sowie Vertreterinnen und Vertreter der Fachpraxis und Praxisbegleitung.