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Bildung im Strukturwandel als kommunales Handlungsfeld

Kommunen stehen vor der Aufgabe, die vielfältigen Prozesse des Strukturwandels zu gestalten. Bildung ist hierfür ein zentraler Schlüssel. In unserer Fortbildung haben wir mit Dr. Stefan Haunstein vom Netzwerkbüro BiSMit und Akteuren aus mitteldeutschen Kommunen über die Herausforderungen des Strukturwandels und die Gestaltungsmöglichkeiten des kommunalen Bildungsmanagements diskutiert.

Strukturwandel in Mitteldeutschland

Die Braunkohleindustrie prägte den mitteldeutschen Raum besonders stark und ist zum Teil heute noch relevant für die regionale Wirtschaftsstruktur.

Strukturwandel ist ein langfristiger und zukunftsoffener Prozess ohne festgeschriebenen Endpunkt. Der Umstieg auf erneuerbare Energien, die demografische Entwicklung und der damit einhergehende Fachkräftemangel sowie die Digitalisierung aller Lebensbereiche greifen ineinander, bedingen und verstärken sich gegenseitig und führen zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen. Dr. Stefan Haunstein vom Netzwerkbüro BiSMit erläuterte in seinem Vortrag die unterschiedlichen Aspekte des Strukturwandels und entwickelte Ideen, wie dieser mit vielfältigen und vernetzten Bildungsangeboten auf kommunaler Ebene gestaltet werden kann.     

Die drei Ds des Strukturwandels

Den Kern des Strukturwandels, so Haunstein, bilden die drei Ds: die Dekarbonisierung, der demografische Wandel und die Digitalisierung. Dekarbonisierung meint den Umstieg auf erneuerbare Energien und damit den Ausstieg aus Atomenergie, Erdgas, Ölindustrie und Braunkohleverstromung. Da die Braunkohleindustrie den mitteldeutschen Raum besonders stark prägte und zum Teil heute noch relevant für die regionale Wirtschaftsstruktur ist, stellen sich hier besondere Herausforderungen des Strukturwandels.

Auch das zweite D, der demografische Wandel, betreffe die neuen Bundesländer in besonderem Maße, erläuterte Haunstein. Einerseits sind hier die Geburtenraten nach der Wiedervereinigung besonders stark zurückgegangen. Andererseits wandern viele junge Menschen ab, während gleichzeitig die Generation der Babyboomer nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Dadurch sinke die Zahl der Erwerbsfähigen dramatisch.

Im Bereich des dritten Ds, der Digitalisierung, wies Haunstein auf den Bedarf an IT-Fachkräften in allen Arbeitssektoren und die Automatisierung und Digitalisierung der Arbeits- und Lernprozesse hin. Die dafür notwendigen neuen Kompetenzen auf Seiten der Nutzenden führten zu erhöhten Fort- und Weiterbildungsbedarfen.

Komplexe Zusammenhänge und Gestaltungschancen

An dieser Stelle erläuterte Haunstein beispielhaft die Zusammenhänge und gegenseitigen Verstärkungseffekte der angesprochenen Wandlungsprozesse und ihrer Folgen. Wollen die Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien (grüner Wasserstoff, Wind- und Sonnenenergie) und der Zukunftsbranchen (E-Mobilität, Gebäudesanierung) wichtige Akteure in der Gestaltung der Energiewende in Mitteldeutschland sein, brauchen sie entsprechend ausgebildete Fachkräfte.

Aufgrund der Abwanderung junger Menschen und des demografischen Engpasses stehen sie hier aber vor erheblichen Hürden. Wandern die Unternehmen aufgrund der problematischen Situation ab oder sind wegen geringer Innovationskraft nicht konkurrenzfähig, leidet die Wirtschaftskraft in der Region. Werden aufgrund finanzieller Engpässe und sinkender Geburtenraten Bildungsangebote zurückgefahren, verliert die Region womöglich an Attraktivität und junge Menschen wandern verstärkt ab. Der Kreis schließt sich und entwickelt sich womöglich zur Negativspirale.

„Es ist wichtig, industrienahe Bildung und Forschung zu stärken und wissensintensive Beschäftigung vor Ort auszubauen, um die regionale Innovationskraft zu stärken.“

[Dr. Stefan Haunstein, Netzwerkbüro Bildung im Strukturwandel in Mitteldeutschland]

Doch die Digitalisierung birgt in diesem Fall neue Entwicklungsperspektiven. Aus- und Weiterbildungen können dezentral umgesetzt werden und immer mehr wird ortsungebunden im Homeoffice gearbeitet. Digitalisierung bietet so die Möglichkeit, auch ohne Einrichtungen vor Ort ein attraktives und leicht zugängliches Bildungsangebot bereitzustellen. Demografische Effekte ließen sich so womöglich stabilisieren.  

Strukturwandel und Bildung in der Kommune

Anhand dieser Beispiele zeigte Haunstein, wie durch Bildung negative Effekte des Strukturwandels abgefedert werden könnten. Kommunen böten sich noch weitere Möglichkeiten den Wandel mit Bezug zur kommunalen Bildungslandschaft zu gestalten. Um den Fachkräftemangel ganzheitlich anzugehen, bestünde eine Möglichkeit im Ausbau der Schnittstellen zwischen Bildung und Wirtschaftsförderung. Fachkräfteallianzen oder Arbeitskreise zur Fachkräftesicherung, in denen bereichsübergreifend Akteure aus der Verwaltung systematisch zusammenarbeiteten, würden ein strategisches Handeln entlang der Bedarfe des regionalen Arbeitsmarktes verbessern.

Eng daran geknüpft ist eine Erweiterung des kommunalen Bildungsmonitorings durch Fachkräftethemen, um Bedarfe der Unternehmen und Weiterbildungsangebote und -bedarfe zu erfassen. Und nicht zuletzt könnte die regionale Wirtschaft von einer Kooperation mit Hochschulen und Universitäten profitieren. Kommune könne hier als Mittler zwischen Unternehmen und hochschulischen Einrichtungen agieren und Kooperationen gezielt vermitteln.  

Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Haunstein warf die Frage auf, ob nicht noch ein viertes D zur Beschreibung des Strukturwandels hilfreich wäre: Demokratie. Fragen der interkulturellen und Demokratiebildung gewännen durch gesteigerte Fluchtbewegungen weiter an Bedeutung und seien eine wichtige Voraussetzung für gelingende Integration. Außerdem müssten gerade die Menschen, deren Leben und Umwelten vom Wandel betroffen seien, in deren Gestaltung eingebunden werden. Das seien Aspekte, die in vielen Verwaltungen noch randständig behandelt würden.

Kommunales Bildungsmanagement im Strukturwandel

In der anschließenden Phase des Praxistransfers konnten die Teilnehmenden in Kleingruppen weiteren Gestaltungsmöglichkeiten des Strukturwandels durch ein kommunales Bildungsmanagement nachgehen. Bei vielen zeigten sich ähnliche Herausforderungen. Berufsschulen, vor allem in den Landkreisen, wurden geschlossen oder Ausbildungsmöglichkeiten abgebaut. Auszubildende mussten nun zunehmend große Distanzen zu ihren Berufsschulen und Betrieben zurücklegen, teilweise bis in Nachbarkommunen und andere Bundesländer.

Gleichzeitig hätten die Unternehmen Schwierigkeiten, qualitativ hochwertige Ausbildungen anzubieten, weil ihnen das Personal fehle. Teilweise seien Unternehmen wie gelähmt. Zwar hätten sie diverse Bedarfe, werden aber selbst nicht aktiv. Hier stellt sich die Frage, wie die Kommune begleiten könne. Es wurden verschiedene Aspekte diskutiert, wie etwa Informationskampagnen für Unternehmen oder Ausbildungsmessen.

In einzelnen Kommunen hat das Bildungsmonitoring Befragungen von Unternehmen und Abschlussklassen durchgeführt, um Bedürfnisse der Ausbildungsbetriebe und der Jugendlichen zu ermitteln und gemeinsam mit Wirtschaftsvertretungen Strategien zu entwickeln. Das Bildungsmanagement hätte hier bspw. die Aufgabe, Konkurrenz zwischen den verschiedenen Institutionen und Anbietern im Weiterbildungsbereich abzubauen und zur Zusammenarbeit anzuregen. Es sollte fortwährend auf die Vorteile einer breit gefächerten Bildungslandschaft hinweisen und durch Informationen, Aufklärung und Vernetzung die fundierte Gestaltung von Bildungswegen ermöglichen. Eine besondere Aufgabe sei es, Wege zu finden, die Interessen und Perspektiven der Bevölkerung in der kommunalen Gestaltung des Strukturwandels gleichberechtigt aufzugreifen.

Die Teilnehmenden konnten in der Diskussion einigen Verknüpfungen des herausfordernden Strukturwandels und den Gestaltungsmöglichkeiten eines kommunalen Bildungsmanagements nachgehen. Dennoch blieben viele Fragen offen. Mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Ursachen und Folgen des Strukturwandels wurde deutlich, dass die Kommune nur eine Stellschraube in der Bearbeitung des Strukturwandels und seiner Herausforderungen ist. Das kommunale Bildungsmanagement kann eine wichtige Schaltstelle sein in diesem dynamischen und zukunftsoffenen Prozess.

Kontakt

Ulrike Richter, Veranstaltungen

Tel.: 0345-68178 21 E-Mail: urichter@dji.de

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