„Nicht von einem anderen Stern“ –
welche Auswirkungen hat eine Rückkreisung auf das kommunale Bildungsmanagement?

Ingo Wachtmeister (SPD) ist Dezernent für Bildung, Jugend, Kultur, Soziales und Stadtentwicklung der thüringischen Kommune Eisenach. Die Stadt, in der Luther dem Teufel ein Tintenfass entgegenwarf, gab im Sommer 2021 ihren Status der Kreisfreiheit auf. Sie ist seither Teil des Wartburgkreises. Bildungsrelevante Ämter gingen von der Kommune an den Landkreis über. In einem Interview gibt Ingo Wachtmeister Auskunft über die Rückkreisung sowie die bisherige Entwicklung des Bildungsmanagements in der Wartburgstadt.

Start der mehrsprachigen Impfkampagne in Eisenach

Ingo Wachtmeister informiert mit seinen Kolleginnen Jennifer Eichholz, Annett Roswora, Nicole Päsler zur Corona-Impfung.

Herr Wachtmeister, die vormals kreisfreie Stadt Eisenach wurde im Juli 2021 in den Wartburgkreis „rückgekreist“. Was steckt dahinter?

In Thüringen gibt es im Unterschied zu anderen ostdeutschen Bundesländern noch sehr kleinteilige kommunale Strukturen. Ich spreche von 17 zum Teil sehr kleinen Landkreisen und fünf zum Teil sehr kleinen kreisfreien Städten. Eisenach hat lediglich rund 43.000 Einwohnerinnen und Einwohner und ist seit vielen Jahren in der Haushaltssicherung – da war das finanzielle Überleben als kreisfreie Stadt nicht mehr gesichert. Eine Eingliederung in den Wartburgkreis war unvermeidlich.

Gemeinsam mit dem Landkreis und dem Land Thüringen wurden lange Verhandlungen geführt, zu welchen Konditionen Eisenach rückgekreist werden könnte. Am Ende wurden von allen Seiten Zugeständnisse gemacht. Wir erhalten zusätzliche finanzielle Mittel vom Land und konnten einige zentrale Verwaltungseinheiten in der Stadt halten.

Was musste die Stadt an den Wartburgkreis abgeben?

Wir sind seit Juli 2021 eine große kreisangehörige Stadt, somit übernimmt der Landkreis die üblichen Verwaltungsaufgaben für die Kommune. Darunter sind auch Jugend- und Sozialamt, Jobcenter, Volkshochschule – zentrale Player für die Gestaltung der kommunalen Bildungslandschaft. Alle genannten Ämter sind über einen Erfüllungsvertrag noch bis Ende des Jahres 2021 Teil der Stadtverwaltung, dann gehen sie jedoch an den Landkreis über. Noch sind die Drähte kurz und die Kommunikation intensiv. Ich hoffe, dass wir das ein Stück weit erhalten können.

Welche Verwaltungseinheiten durfte die Stadt behalten?

Wir haben bei den Verhandlungen unter anderem herausgeholt, dass wir die Trägerschaft der städtischen Schulen behalten dürfen. Auch das Kulturamt mit der Bibliothek und der Musikschule wird weiterhin kommunal betrieben. Das sichert der Stadt Einfluss auf zentrale bildungspolitische Handlungsfelder – insbesondere auf Schulen. Zudem konnte die Stabsstelle Soziale Stadt erhalten werden, die in meinem direkten Verantwortungsbereich verortet ist. Hier ist das Kommunale Bildungsmanagement angesiedelt und es finden sich auch die Thüringer Landesprogramme zu Armutsprävention, Familien und Integration in der Stabstelle wieder.   

Eisenach war zwischen 2016 und 2021 Modellkommune im BMBF-Programm „Bildung integriert“. Im Bildungsmanagement wurde ein nahezu prototypischer Entwicklungsprozess angestoßen. Sie haben zwei Bildungskonferenzen durchgeführt, ein Bildungsleitbild verabschiedet, eine Lenkungsgruppe Bildung eingerichtet und zwei Bildungsberichte vorgelegt. Was ist mit dem Knowhow und den Strukturen nach dem Programmende und im Zuge der Rückkreisung geschehen?

Wir sind froh, die Kommune über Förderprogramme weiterentwickeln zu können. Ohne diese Programme hätten wir schlicht und ergreifend keine finanziellen Mittel, um sogenannte „freiwillige Aufgaben“ anzupacken, die die Lebensqualität in der Stadt positiv beeinflussen können. Durch das Programm „Bildung integriert“ wurden innerhalb weniger Jahre tragfähige Strukturen im Bildungsmanagement geschaffen, die wir unbedingt erhalten möchten.

Sie haben recht: Das fachlich versierte Programmpersonal ist weg, die Förderung ausgelaufen und wir wurden rückgekreist. Dennoch möchte ich mit dem Stadtrat und der Stabsstelle Soziale Stadt weiterhin Bildungsthemen bearbeiten und die Bildungslandschaft gestalten – auch wenn das ohne Fördergelder vorerst in etwas abgespeckter Form stattfinden muss. Die Stadt schaut gerade auf das neue ESF+-Förderprogramm des BMBF „Bildungskommunen“. Vielleicht sind wir da trotz des neuen Status‘ als kreisangehörige Stadt im Spiel. Das wäre ein wichtiger Schritt für Eisenach und hat bei uns Priorität!

Wie findet die Gestaltung der Bildungslandschaft nach der Rückkreisung konkret statt?

Die Lenkungsgruppe Bildung unter Beteiligung der großen Bildungsakteure trifft sich weiterhin – so erst kürzlich zur Etablierung des städtischen Jugendbeirats. Die Duale Hochschule, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter, Kammern oder das Schulamt haben weiterhin Interesse, mit der Stadt bei bildungspolitischen Fragen zusammenzuarbeiten. Hier ist eine Kontinuität gegeben. In der Stabsstelle Soziale Stadt sollen die operative Untersetzung des Bildungsleitbilds und das durch Bildungsberichte etablierte Monitoring weiterbearbeitet werden.

Selbst wenn wir aktuell aus Kapazitätsgründen keine Bildungskonferenz planen, gibt es anlassbezogene Austauschrunden zu bildungspolitischen Fragen unter Beteiligung von Kindergärten, Schulen und externen Partnern. Auch aus dem Programm „Kommunale Koordinierung“ konnten die Netzwerkstrukturen erhalten werden.Wir haben ab dem kommenden Jahr eine hauptamtliche Migrationsbeauftragte sowie unsere Integrationsbeauftragte, die sich um die Vernetzungstreffen der Sprachkursträger kümmern werden.

Die Wartburgstadt Eisenach ist ein weltweit bekanntes Touristenziel, Hochschulstandort und blickt auf ein bedeutendes kulturelles Erbe. Wie passt das mit dem äußerst ländlich geprägten Wartburgkreis zusammen?

Die Rückkreisung darf man sich nicht so vorstellen, dass ein unbekanntes Flugobjekt – in diesem Falle Eisenach – auf einem anderen Stern – dem Wartburgkreis – landet. Wir sind schon immer eine zusammengehörige und historisch verbundene Region. In Bezug auf Bildung ziehen wir in vielen Bereichen an einem Strang. So stand erst kürzlich das Thema berufliche Bildung beziehungsweise Berufsschulen im Fokus. Wir haben eine Berufsschule in Eisenach und eine in der Kreisstadt Bad Salzungen.

Der Wartburgkreis und die Stadt Eisenach haben sich gemeinsam gegenüber dem Land Thüringen positioniert, beide Berufsschulstandorte im Landkreis zu erhalten. Im Bereich der Lehrerausbildung suchen Wartburgkreis und Eisenach nach Wegen, um ein zentrales Studienseminar in der Stadt zu etablieren, denn wir müssen genügend Lehrende für Westthüringen ausbilden. Auch im Bereich Volkshochschule gibt es die Klarheit, dass der Standort Eisenach weiterhin ein Sprachkurszentrum sein wird. Außerdem wird der Sitz der gemeinsamen Volkshochschule in Eisenach sein.

Was steht in Eisenach im Bereich Bildung künftig auf der Agenda?

Wir haben in den vergangenen Monaten engagiert um unser wirtschaftliches Herzstück, den Opel-Standort Eisenach, gekämpft. Letztendlich konnte der Standort gesichert werden. Wenn Opel niest, dann hat die Stadt schnell Schnupfen. Insbesondere von der Zukunft des Automobilstandorts und der Zulieferbetriebe hängt ab, welche bildungspolitischen Themen wir bearbeiten müssen. Es geht um Fachkräftesicherung, Auszubildende und Strukturwandel. Daneben bleiben die aktuellen Themen relevant: Übergänge, Bildungsgerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Schulabbruch, demografischer Wandel, Studienstandort Eisenach und frühkindliche Bildung.

 

Kontakt

Das Interview führte Alexander Lorenz, Kommunalberatung Thüringen.

Tel.: 0341-99392311 E-Mail: lorenz@dji.de