Kein Bock auf Schule?
Schulvermeidung als Folge krisenbedingter Belastungen

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist durch die Corona-Pandemie stark belastet. Hinzu kommen andere Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder der Klimawandel, die jungen Menschen Angst machen. Gleichzeitig lässt sich eine deutliche Zunahme von schulvermeidendem Verhalten beobachten. Ist der Anstieg vielleicht eine Folge solch krisenhafter Ereignisse? Und wenn ja, wie lässt sich diesem begegnen?

Kein Bock auf Schule?

Konzentrationsschwierigkeiten und Motivationsprobleme treten bei Schülerinnen und Schülern in den letzten Jahren immer häufiger auf.

Zur Beantwortung dieser Fragen liegen inzwischen zahlreiche Studien vor: So wurden etwa in der bundesweiten COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf seit Mai 2020 in jeweils fünf Befragungswellen Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren sowie Eltern von 7- bis 17-Jährigen zu ihrer psychischen Gesundheit befragt.

Während der beiden Lockdowns im Jahr 2020 zeigten 30 Prozent der Befragten psychische Auffälligkeiten wie Depressionen, Ängste, Essstörungen, Gaming- oder Smartphone-Sucht. Bei der fünften Befragung im Herbst 2022 ging der Anteil von Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten jedoch auf 23 Prozent zurück. Dieser liegt dennoch deutlich höher als vor der Pandemie.

Dabei haben sich Kinder und Jugendliche während der Pandemie im Vergleich zu Erwachsenen als deutlich vulnerabler erwiesen – so eine kürzlich veröffentlichte Literaturrecherche des Robert-Koch-Instituts, in der 39 Studien zu diesem Thema ausgewertet wurden. Betroffen sind – auch im internationalen Vergleich – vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial- und bildungsbenachteiligten Familien, wie eine Studie der Hochschulen in Bielefeld und Bochum zeigt.

Zukunftsängste: Corona, Klima und Ukraine-Krieg

Als eine der ersten Studien bestätigte die bundesweite „JuCo-Studie“ des Forschungsverbunds „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ der Universitäten Frankfurt und Hildesheim eine weitreichende Verunsicherung unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. So gaben 46 Prozent der Befragten im Dezember 2021 an, dass sie Angst vor der Zukunft haben.

Dabei ist die Corona-Pandemie längst nicht der einzige Anlass zur Sorge: In der Studie „Jugend? Zukunft fragen!“ des Bundesumweltministeriums geben drei Viertel der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren an, dass sie Angst vor den Folgen der Klimakrise haben und pessimistisch in die Zukunft blicken.

Etwa ein Jahr später bestätigte auch die fünfte Befragung der COPSY-Studie, dass vor allem der Krieg in der Ukraine, die Klima- und Energiekrise oder die Inflation die Psyche der jungen Menschen stark belasten: Fast die Hälfte der Befragten äußerten in diesem Zusammenhang vermehrte Zukunftsängste.

Vermehrt schulvermeidendes Verhalten seit Beginn der Corona-Pandemie

Parallel zu dieser Entwicklung beobachten laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Robert Bosch Stiftung im Jahr 2022 38 Prozent aller Lehrkräfte eine deutliche Zunahme von schulvermeidendem Verhalten. Zudem berichteten sie von einem Anstieg negativer Verhaltensweisen wie Konzentrationsschwierigkeiten und Motivationsprobleme bei den Schülerinnen und Schülern.

Ist schulvermeidendes Verhalten eine Folge der Pandemie und anderer Krisenerfahrungen? Lässt sich hier vielleicht ein Zusammenhang feststellen? Genaue Fallzahlen liegen dazu leider nicht vor, denn die längere Abwesenheit von Schülerinnen und Schülern vom Unterricht wird in Deutschland größtenteils kaum dokumentiert.

Außerdem unterscheiden sich die Kriterien der Erfassung von Bundesland zu Bundesland. Jedoch lassen sich in den Medien eine Vielzahl von persönlichen Einschätzungen von Fachkräften finden, die diese Vermutung nahelegen.

Krisenerfahrungen verstärken die Ursachen von Schulvermeidung

Auch wenn der Zusammenhang von Corona-Pandemie, Krisenerfahrungen und dem Anstieg von Schulvermeidung nicht eindeutig feststellbar ist: In der Fachliteratur ist allgemein anerkannt, dass psychische Probleme eine Ursache für schulvermeidendes Verhalten sind.

Im Wesentlichen werden hierbei zwei Ursachenkomplexe unterschieden. Erstens: Angst, wie soziale Angst oder Ängste aufgrund hoher schulischer Anforderungen. Zweitens: Unlust oder fehlende Bereitschaft sich an gesellschaftliche Normen zu halten, zum Beispiel vor dem Hintergrund von familiären Problemlagen.

Betrachtet man nun zum Beispiel die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie, liegt die Vermutung nahe, dass sie zu schulvermeidendem Verhalten beitragen können: Über Monate fehlten die Alltagsstruktur, der Kontakt zu Gleichaltrigen, der Sport oder andere Hobbys – in einer Lebensphase, in der Austausch mit Freundinnen und Freunden und das Erleben von Selbstständigkeit eine große Rolle für die persönliche Entwicklung spielen.

Auch der Leistungsdruck ließ unter den erschwerten Rahmenbedingungen nicht nach. Nicht wenige junge Menschen entwickelten in dieser Zeit Rückzugstendenzen. Damit wurde für sie die Rückkehr in den Schulalltag zu einer großen Belastung. Hinzu kommen das krisenhafte Erleben dieser Zeit und der Eindruck junger Menschen, von der Politik nicht genügend gehört oder gesehen zu werden.

Eine wesentliche Rolle spielen auch der Lehrkräftemangel und in dessen Folge die Überlastung der Lehrkräfte, welche zusätzlich die Integration von ukrainischen Kindern und Jugendlichen in den Unterricht bewältigen müssen. Diese Faktoren erschweren es, die Schülerinnen und Schüler in ihren jeweiligen Problemlagen wahrzunehmen und angemessen zu unterstützen.

Schulvermeidung – ein gesellschaftliches Problem

Wie die Ursachen sind auch die Folgen von schulvermeidendem Verhalten vielschichtig: Schlechte Zeugnisnoten, ein niedrigerer Schulabschluss oder gar der Schulabbruch ziehen erheblich schlechtere Berufsaussichten sowie insgesamt gesellschaftliche Nachteile nach sich.

Ein mangelhafter oder fehlender Bildungsabschluss ist außerdem ein Risikofaktor für weitere psychische und gesundheitliche Folgen. Tritt schulvermeidendes Verhalten dann gehäuft auf, so wird dies auch zunehmend zur Belastungsprobe für das Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem.

Mit Blick auf die vielschichtigen Ursachen und Folgen für Individuum und Gesellschaft, können die Zunahme von Schulvermeidung und anderer Verhaltensauffälligkeiten bei Schülerinnen und Schülern nicht mehr nur als ein individuelles Problem der betroffenen Jugendlichen und ihrer Eltern betrachtet werden. Auch Lehrkräfte können das Problem nicht alleine auffangen.

Vielmehr bedarf es komplexer Lösungen und Unterstützungsangebote, die von einer Verantwortungsgemeinschaft aus verschiedenen Akteuren, Ämtern und Institutionen im schulischen und außerschulischen Bereich entwickelt und getragen werden. Dafür gilt es, Schulvermeidung als ein gesellschaftliches Problem anzuerkennen und ernst zu nehmen – etwa indem es auf kommunaler Ebene als politisch-strategische Querschnittsaufgabe behandelt wird.

Was Kommunen konkret tun können und welche Rolle DKBM dabei spielen kann, zeigen wir in unserem Artikel „Schulvermeidung begegnen – was Kommunen tun können“ auf.

Kontakt

Sabine Lucks, Wissenstransfer

Tel.: 0345-6817896 E-Mail: lucks@dji.de

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