Im Interview:
Bildung als Standortfaktor

Am 24. Juli veranstaltet die TransMit im Rahmen der Bundeskonferenz Bildungsmanagement 2015 in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema "Attraktiv durch Bildung – Kommunales Bildungsmanagement als Standortfaktor". Agenturleiterin Dr. Elke Schreiber sprach mit Landrat Götz Ulrich und Stefan Nüßle, 2. Kreisbeigeordneter im Landkreis Nordhausen.

Elke Schreiber/Leiterin TransMit: Herr Ulrich, Sie haben als Landrat eine Menge Themenfelder zu bearbeiten. Was macht Bildung als Standortfaktor für Sie besonders interessant?

Götz Ulrich/Landrat Burgenlandkreis: Wir haben im Burgenlandkreis einige große Unternehmen und wenn ich mir anschaue, wo die Unternehmenslenker leben, dann muss ich feststellen, dass viele von denen nicht im Burgenlandkreis leben, sondern in Leipzig, manche in Hamburg – in den großen Städten. Darüber habe ich mit denen auch gesprochen. Eine Argument war: Da gibt es ein sehr interessantes Bildungsangebot. Es gibt dort eine internationale Schule und die Möglichkeit, sich von der Kindertagesstätte bis zum Abitur in konfessionellen Schulen oder Bildungseinrichtungen betreuen und bilden zu lassen.

Insofern ist natürlich die Frage der Bildung ein ganz entscheidender Standortfaktor für die Menschen, wenn sie sich entscheiden, wo sie leben möchten. Und wir wollen ja in unseren Landkreisen auch kluge Köpfe haben, weil wir die nicht nur in den Unternehmen brauchen. Jeder kluge Kopf, der bei uns lebt, der kann sich außerhalb seiner Arbeit gesellschaftlich einbringen, kann im Verein den Hut aufsetzen und kann in seiner Gemeinde entsprechend wirken.

Herr Nüßle, welche Strategien fahren Sie im Landkreis Nordhausen, um kommunales Bildungsmanagement auf den Weg zu bringen?

Stefan Nüßle/2. Kreisbeigeordneter Landkreis Nordhausen: Wir liegen in der Mitte Deutschlands, haben eine sehr günstige Verkehrsanbindung und Bildungsangebote, die das Bild abrunden. Wir haben freie Schulen, konfessionelle Schulen, Montessoriangebote und eine Hochschule. Hierfür wollen wir natürlich ein Stück weit werben. Denn für viele, die sich in Nordhausen und Umgebung ansiedeln, sind das entscheidende Faktoren.

Darüber hinaus haben wir uns die Frage gestellt, was wir im Bildungsbereich noch tun können. Was wir für unsere Kinder tun können und welche Möglichkeiten es gibt, Fachkräfte für die Region zu gewinnen. Das sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Deswegen haben wir uns für eine Teilnahme im Bundesprogramm "Bildung integriert" entschieden.

Wie versuchen Sie abzusichern, dass die Bürgerinnen und Bürger die Angebote, die Sie auf den Weg bringen, auch nachfragen.

SN: Wir müssen einfach noch mehr auf die Leute zugehen, müssen fragen, was sind ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche. Und wir wollen ganz gezielt Schulen am Nachmittag für Veranstaltungen öffnen und mit Angeboten der Volkshochschule in die Fläche gehen. Die Menschen sollen für sich eine Perspektive im ländlichen Raum entdecken und sagen können: okay, wir haben zwar nicht das ganz breite Angebot, aber wir haben punktuell das, was wir uns für die Weiterentwicklung wünschen.

Herr Ulrich, wir sprechen vom kommunalen Bildungsmanagement als Aufgabe der Kommunalverwaltung. Welche Rolle kann die Wirtschaft beim Thema Bildung als Standortfaktor übernehmen?

GU: Also zunächst mal hat die Wirtschaft viele Wünsche und oft auch Forderungen an uns. Es gibt Unternehmen, die sind sehr gut auf die demografische Situation und das Wegbrechen von Nachwuchs eingestellt und welche, die werden davon völlig überrascht und übergeben die Verantwortung jetzt an die Kommune. Der Herausforderung muss man sich zwar stellen, aber man muss auch die Frage aufwerfen, was tut das Unternehmen dafür, dass es entsprechend qualifizierte und gut ausgebildete Nachwuchskräfte hat.

Ich möchte mal das Thema Flüchtlinge herausgreifen, weil mich das in den letzten Monaten stark beschäftigt hat. Wir wollen im Burgenlandkreis ein Projekt in Angriff nehmen, in dem wir drei sogenannte Coachingcenter ins Leben rufen, die sich ganz gezielt um Migranten kümmern. Die Unternehmen haben die Aufgabe, Praktika durchzuführen und zu schauen, ob diese Menschen, insbesondere im Bereich der Anlerntätigkeiten in der Lage sind, diese Aufgaben zu erfüllen, und wenn nicht, entsprechend mit Nachqualifikationen, beispielweise im Bereich der berufsbezogenen Sprachkenntnisse, zu unterstützen.

Wie sieht das ganz konkret aus?

GU: Unser Wirtschaftsförderamt hat neben der Akquise von neuen Unternehmen auch die Aufgabe der Bestandspflege. Im Rahmen dieser Bestandspflege weiß das Wirtschaftsförderamt, wo es Bedarfe gibt. Wir nehmen mal Kaufland Logistik, ein großes Unternehmen, das zur Zeit schon über 500 ausländische Arbeitskräfte im Burgenlandkreis beschäftigt, um die Logistik zu den Kaufmärkten sicherzustellen oder Fleischzerlegungen für Kaufland vorzubereiten. Wir wissen, dass auf dem einheimischen Arbeitsmarkt nicht mehr genügend Arbeitskräfte zu finden sind und dass, obwohl wir eine Arbeitslosenquote von zehn Prozent haben und davon acht Prozent Menschen sind, die wir in unserem eigenen kommunalen Jobcenter betreuen. Obwohl das so ist, ist die Zuwanderung von außen notwendig und auch die schnelle Nachqualifikation vor allem von Hilfskräften, damit zum Beispiel der Zerlegungsbetrieb am Laufen gehalten werden kann oder die logistischen Aufgaben von Kaufland erledigt werden können.

Herr Nüßle, haben Sie ähnliche Erfahrungen oder ganz andere Zugänge in Thüringen?

SN: Nein, ich glaube, das ist ein generelles Problem, auch bei uns in der Region, in der klein- und mittelständische Unternehmen vorherrschen, bei denen die strategische Personalplanung in der Vergangenheit eher selten war. Da muss man gemeinsam mit den Unternehmen schauen, was möglich ist. In Bezug auf die Flüchtlingsfrage beschäftigen wir uns gerade mit dem Thema der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die ab dem nächsten Jahr verteilt werden sollen. Da prüfen wir aktuell, welche Möglichkeiten sich im Hinblick auf die Berufsausbildung – Stichwort Übergang Schule und Beruf – ergeben.

Aber das große Risiko ist eben, dass man bei den Flüchtlingen selten weiß, ob sie in der Region bleiben oder in die großen Ballungszentren gehen. Das ist immer so ein Unsicherheitsfaktor, wo man versuchen muss, Lösungsansätze zu finden. Da sind wir auch noch nicht bei dem Stein der Weisen, aber es ist eine Zielstellung, so viele wie möglich in der Region zu halten, Angebote zu machen und Perspektiven zu bieten, damit wir in den Unternehmen die Fachkräftesituation verbessern können.

Wir sprechen von Bildungsmanagement immer als Gemeinschaftsaufgabe. Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesen Weg zu gehen?

SN: Ich glaube es ist wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen in dem was da passiert auch einen Fortschritt für sich sehen. Beispielweise  kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Jahresende schneller an Daten für bestimmte Statistiken, haben einen besseren Einblick, wenn zwischendurch mal eine Anfrage kommt und können das, was geleistet wird besser nachvollziehen. All das sind Vorteile, mit denen man das Ganze auch schmackhaft machen kann. 

GU: Ich habe vor einem Jahr ein Landratsamt vorgefunden – das ist jetzt kein Vorwurf an meinen Vorgänger –, dass das Thema Bildung nicht in den Vordergrund gerückt hat. Das hat man auch in der Struktur gemerkt: Die Schulverwaltung war im Bauamt integriert. Im Mittelpunkt stand der Schulbau, der jahrelang ein großes Thema im Landkreis war. Das Thema Kindertagesstätten ist im Jugendamt angesiedelt. Der Bereich der Schulverweigerung und die damit einhergehenden sozialen Probleme, sind im Ordnungsamt angesiedelt.

Meine Aufgabe war es, nicht dazwischen zu hauen, sondern zunächst zu beobachten, wie die Zusammenarbeit der Mitarbeiter, die bildungsrelevant tätig sind, funktioniert. Jetzt nach einem Jahr haben wir eine Umstrukturierung des Landratsamtes durchgeführt. Heute gibt es ein eigenes Amt für Bildung, in dem alle bildungsbezogenen Bereiche zusammen geführt werden. Das heißt: Herauslösung aus der Schulverwaltung, Herauslösung von Aufgaben aus dem Jugendamt, Herauslösung von Aufgaben aus dem Ordnungsamt in das Amt für Bildung. Wir haben beispielsweise über 30 Schulsozialarbeiter, die angeleitet werden müssen. Diese Anleitung erfolgt künftig im Amt für Bildung unter einem Sozialdezernenten.

Das ist der erste Schritt in einem Prozess, der damit strukturell nicht zu Ende ist. Wie wir insgesamt die Mitarbeiter, wenn sie dann in den neuen Strukturen tätig sind, motivieren, das ist schon eine sehr schwierige Frage. Es muss klar sein, warum wir das tun und was das Ergebnis dieser Arbeit sein soll. Ich habe versucht, das allen Beteiligten zu erklären, haben mit ihnen diskutiert und nicht ex cathedra verkündet. Für mich ist das Wichtigste, deutlich zu machen: Wir fangen am Beginn der Bildungskette an, wir investieren dort besonders viel Zeit, Kraft und vielleicht auch Geld, damit wir dann später im Bereich unseres Jobcenters, dem Sozialamt bis hin zur Grundsicherung im Alter Dinge sparen können, die uns jetzt finanziell stark beeinträchtigen und viele freiwillige Aufgaben nicht ermöglichen.

Als Vertreter unterschiedlicher Landkreise und Bundesländer stehen auch Sie im Standortwettbewerb. Warum brauchen Sie dennoch den interkommunalen Austausch und die länderübergreifende Zusammenarbeit?

SN: Wir liegen ja in der Mitte Deutschlands, da fasse ich die Region mal ein bisschen größer, dann passt der Burgenlandkreis vielleicht auch mit dazu. Unsere beiden Landkreise kommen um äußere Zwänge und finanzielle Grenzen nicht umhin. Wir können nicht alles vor Ort selber machen, auch wenn wir uns das vielleicht wünschen. Das heißt, man muss bestimmte Angebote und Strukturen in der Region nutzen. Da kommen wir um eine interkommunale Zusammenarbeit am Ende gar nicht umhin.

Ich kann in Sachen Standortfaktor nicht als kleines Dorf für mich alleine werben. Ich muss die Region in den Mittelpunkt stellen und das tun wir als Landkreis Nordhausen mit unserem Nachbarn dem Kyffhäuserkreis. Wir haben einen gemeinsamen Tourismusverband gegründet, verschiedene Behörden zusammengelegt und haben weitere Ämter im Blick. Es geht darum Synergien zu nutzen, ohne gleich einen großen Landkreis zu "bastelt".

Herr Ulrich, wie sieht das aus Ihrer Sicht aus?

GU: Nun ja, ich dachte immer der Burgenlandkreis liegt in der Mitte Deutschlands, jetzt ist es der Landkreis Nordhausen. Aber das ist egal, wir liegen jedenfalls in der Metropolregion Mitteldeutschland und damit direkt an Landkreisen, die sich in Thüringen und in Sachsen befinden. Und da sich der ländliche Raum nicht nur bei uns in den letzten 25 Jahren durch die Einwohnerreduzierung stark ausgedünnt hat und Bildungsinfrastruktur massiv zurückgebaut wurde, müssen wir natürlich überlegen, wie wir unter Einbeziehung unserer Nachbarn relativ kurze Wege zu Bildung und Ausbildung ermöglichen können.

Wir wollen doch nicht Schülern aus unserem eigenen Landkreis zumuten 180 km in die Landeshauptstadt fahren zu müssen, weil das Berufsbild nur noch dort angeboten wird, wenn ich in 30 km Entfernung eine Berufsschule in einem anderen Bundesland habe, die das Berufsfeld abdecken kann. Wenn wir nicht wollen, dass die Menschen wegziehen, müssen wir im Bildungsbereich diese Zusammenarbeit suchen. Deshalb arbeiten wir beispielsweise länderübergreifend in einem Südverbund Berufsschulplanung zusammen. Da wir im Burgenlandkreis keine eigene Hochschule haben, kooperieren wir auch mit der benachbarten Hochschule Merseburg im Saalekreis. Da spielen kommunale Grenzen eine untergeordnete Rolle. Natürlich haben wir alle Herzblut für unseren Kreis, ich möchte auch, dass die Leute lieber in den Burgenlandkreis ziehen, als nach Nordhausen, aber das ist ja selbstverständlich, dann wären wir schlechte Kommunalpolitiker, wenn wir das außer Acht ließen.

Sie sind ja nicht nur Kommunalpolitiker, Sie sind auch Familienväter. Was für eine Bildungslandschaft wünschen Sie sich für Ihre Kinder?

GU: Mein jüngster Sohn geht noch in die Grundschule. Für ihn wünsche ich mir, dass er dann auf eine weiterführende Schule trifft, die eine ausreichende Lehrerversorgung hat, wo nicht ständig der Unterricht ausfällt. Eine Schule, die ein Unterrichtsangebot und ein außerschulisches Angebot hat, was über den Standard hinaus geht. Und die auch in der Lage ist, obwohl wir im ländlichen Raum leben, den Blick zu weiten. Ich habe in den letzten Monaten leider oft den Eindruck gehabt, dass viele Menschen noch zu sehr in sich gekehrt sind, dass sie den eigenen ländlichen Raum gedanklich selten verlassen haben. Das muss Bildung im ländlichen Raum leisten: den Blick weiten.

Wir reden ja oft darüber, welche Anforderung die Wirtschaft hat und welche Anforderungen deshalb ein Bildungssystem erfüllen muss, um die Wirtschaft funktionieren zu lassen. Das ist ja richtig, aber ich weigere mich dagegen, dass wir sozusagen Menschen nur nach den Anforderungen der Wirtschaft "züchten" dürfen. Sondern wir müssen Menschen heranbilden, die mit ihrer Umgebung zurechtkommen, allseits gebildet sind, nicht nur Wissen haben, sondern denen auch ihre eigene Heimat bewusst ist, denen ihre Geschichte bewusst ist, denen klar ist, sie kommen aus einer extrem geschichtsträchtigen Region, wo Kaiser und Könige herrschten, wo sie starben, wo sie regierten. Das gehört auch zur Bildung: Kulturverständnis und Heimatliebe. Das wünsche ich mir für meinen Sohn.

SN: Also ich glaube, wenn es um Kinder geht, da liegen die Vorstellungen nicht ganz so weit auseinander. Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie ihre Bodenständigkeit nicht verlieren. Dass sie das, was ihre Familie ausmacht, was ihre Heimat ausmacht immer im Blick behalten. Aber auch immer ein Auge offen haben für das, was die Welt bietet. Geht es ganz konkret um das Thema Bildung, wünsche ich mir ein wirklich inklusives Bildungssystem, denn zu meinen sieben Kindern gehören zwei geistig behinderte Pflegekinder, und da zählt inklusive Bildung im Moment noch zu dem Feld, was am meisten beackert werden muss. Ich wünsche mir, dass die beiden trotz ihrer Behinderung gute Voraussetzungen finden, ein gutes Bildungssystem finden und dann auch einen guten Start ins Leben.

GU: Darf ich noch einen letzten Satz an die kommunalen Vertreter richten? Es sind ja nicht nur die Hauptverwaltungsbeamten da, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wenn die den Daumen senken, wird es ganz schwer. Deshalb müssen Sie alle jetzt mit glühenden Herzen nach Hause fahren und ihren Hauptverwaltungsbeamten erklären, wie wichtig das Thema kommunales Bildungsmanagement ist, weil die anderen sonst an ihnen vorbeiziehen werden und keiner mehr bei ihnen leben will und sich bilden lassen will. Wir brauchen die Oberbürgermeister, wir brauchen die Landräte und natürlich die kreisangehörige Ebene. Diese Erkenntnis muss bei den Kollegen und Kolleginnen unbedingt noch stärker reifen. Dankeschön.