Inseln der Digitalität?
Das Projekt „Lerninseln“ der Stadt Karlsruhe

In der Stadt Karlsruhe entstanden während der Corona-Zeit so genannte „digitale Lerninseln“, die es Kindern und Jugendlichen möglich machen, am Fernunterricht teilzunehmen und gemeinsam zu lernen. In unserem Interview sprachen wir mit Micha Pallesche, Schulleiter der Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe und Markus Losert, dem Leiter des IT-Amts der Stadt Karlsruhe, über ihr Projekt, den Weg zu einer digital-analog vernetzten Bildungslandschaft und über die Schule der Zukunft.

Erste Lerninsel im Schloss Karlsruhe

Mit der Lerninsel im Torbogensaal des Schlosses Karlsruhe ist ein Lernort entstanden, an dem Kinder und Jugendliche ruhig und mit bester Infrastruktur lernen können.

Wie haben Sie die Projektidee von den Lerninseln gemeinsam entwickelt und in der Stadt Karlsruhe umgesetzt?

Micha Pallesche: Die Idee, Lernen auch an anderen Orten im Quartier zu ermöglichen, besteht schon lange. Als während der Pandemie die Schulen geschlossen wurden, hat die Idee plötzlich Fahrt aufgenommen. Viele unserer Schülerinnen und Schüler hatten nämlich nicht die technischen Voraussetzungen, um im Homeschooling gut lernen zu können. Also mussten schnell andere Lösungen her.

So sind wir an Herrn Losert vom IT-Amt der Stadt herangetreten. Durch seine Unterstützung sind noch andere Ämter der Stadt hinzugekommen. Daraus ist schließlich das Lerninsel-Konzept entstanden. Aber natürlich war das ein Prozess und es gab auch kritische Fragen, die erstmal ausgehandelt werden mussten.

Markus Losert: In der Realisierung war das Projekt dann keine Raketenforschung: Es gibt eine Karte, darauf werden die Lerninseln als „Points of Interest“ angezeigt. Diese sind mit allgemeinen Informationen zu den Lerninseln versehen. Das „OK Lab Karlsruhe“ – eine Gruppe von Ehrenamtlichen – hat den Prototyp für die App und die Karte gebaut und zusammen mit Schülerinnen und Schülern die Oberfläche entwickelt.

Die einzelnen Institutionen, die hinter den Orten stecken, organisieren selbst, was sie anbieten wollen. Perspektivisch wollen wir noch mehr Lernorte und Bildungsanbieter gewinnen, die von der ganzen Stadtgesellschaft genutzt werden können.

Wie konnten Sie das Projekt so schnell realisieren?

Markus Losert: Ein Pädagoge und ein ITler denken zunächst mal ganz unterschiedlich. Da muss man aufpassen, dass man sich nicht zu sehr in theoretischen Diskussionen verliert. Wir waren pragmatisch und haben gesagt: Lasst es uns ausprobieren und dann schauen, wo wir landen und was wir anders machen müssen. Wenn man erstmal ein Riesenkonzept erarbeiten will, dann wird das nie was!

Wichtig ist auch, dass die beteiligten Akteure etwas davon haben. Die VHS war z.B. sofort Feuer und Flamme, weil sie ein Interesse hat, junge Leute in ihre Räumlichkeiten zu bekommen. Man sollte auch berücksichtigen, dass die Akteure nicht auf der grünen Wiese daherkommen: Sie agieren in ihrem eigenen strategischen Kontext, mit klaren Vorstellungen und Zielen. In diesem Kontext sollte man sie abholen und ihnen Anknüpfungsmöglichkeiten aufzeigen.

Ist Karlsruhe damit schon auf dem Weg zu einer „digital-analog vernetzten Bildungslandschaft“?

Markus Losert: Das Projekt Lerninseln ist auf jeden Fall ein guter erster Schritt auf diesem Weg. Die Stadtverwaltung versucht, sich dafür zu öffnen und weitere Projekte in diesem Bereich zu unterstützen. Das Entscheidende ist für mich aber die Kultur des Miteinanders und der gegenseitigen Unterstützung, die dafür entstehen muss.  

Micha Pallesche: Digitale Produkte ersetzen bisher oft nur das, was schon analog gemacht wird: Eine Schultafel wird zur digitalen Tafel; ein Overhead-Projektor zum Visualizer. Das ändert aber nichts an der Kultur, also z.B. an den Lehr- und Lernmethoden in der Schule. Wir brauchen heutzutage andere Formen der Zusammenarbeit.

Durch gemeinschaftliches Arbeiten und die multiperspektivische Sicht der einzelnen Akteure entsteht Kreativität. So werden innovativere und nachhaltigere Lösungen gefunden. Partizipation, Ko-Kreation und die Möglichkeit immer und überall, an solchen Projekten arbeiten zu können; das sind für mich zentrale Merkmale einer „Kultur der Digitalität“ – und die brauchen wir, um analog und digital sinnvoll miteinander zu vernetzen. Aber so etwas entsteht natürlich nicht von heute auf morgen.

Wie müsste Ihrer Vorstellung nach eine Schule in der Zukunft aussehen?

Micha Pallesche: Schülerinnen und Schüler müssen auf diese neue Art des Zusammenarbeitens vorbereitet werden, indem z.B. stärker „Real-Life Problems“ in der Schule aufgegriffen werden. An unserer Schule übernehmen die Schülerinnen und Schüler Verantwortungsjobs, z.B. im Altersheim, im Gnadenhof für Tiere oder sie geben Lehrerfortbildungen im digitalen Bereich. So lernen sie in der Realität und können einen Sinn darin erkennen.

In der Arbeitswelt sind ja längst schon zukunftsfähigere Praktiken anzutreffen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Menschen von außerhalb mit ihrem Wissen in die Schule einbezogen werden. Bei unserem hybriden Schulentwicklungsprozess, dem „Roten Salon“, beteiligen wir deswegen nicht nur die Eltern, Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonal, sondern auch Menschen, die im Quartier leben.

Andersrum wird das Lernen der Zukunft nicht mehr allein an den Ort Schule gebunden sein – diesen Gedanken bilden die Lerninseln schon ganz gut ab. An unserer Schule haben wir zudem die Fächerstruktur am Vormittag teilweise aufgelöst. Das ermöglicht uns, aus der Schule herauszugehen und im Quartier zu lernen.

Wichtig ist auch, dass die Lehrenden ihre Kompetenzen weiterentwickeln. Natürlich muss nicht jeder Lehrer oder jede Lehrerin programmieren können, aber sie sollten es in den Grundzügen verstehen. Wir versuchen deswegen an unserer Schule, Wissen zu teilen. Wenn jemand in einem bestimmten Bereich fit ist, dann bietet der eine kleine Fortbildung für die Kolleginnen und Kollegen an.

Was ist das Wichtigste, das Sie aus dem Projekt gelernt haben?  

Micha Pallesche: Dass man Aushandlungsprozesse aushalten muss, denn es geht um eine Veränderung der Haltung – und so etwas braucht Zeit und Geduld.

Ein anderer Punkt ist, dass die Menschen die Idee der Lerninseln so berührt hat, dass sie auf einmal emotional beteiligt waren. Wenn ich mit Überzeugung und Begeisterung bei der Sache bin und wenn ich das transportieren kann – also die Menschen meine Begeisterung spüren – dann kann so ein Prozess gelingen.

Und schließlich sind in so einem gemeinsamen Prozess wirklich alle wichtig. Nicht nur die Pioniere, sondern auch die kritischen Freundinnen und Freunde, die uns auf Stolpersteine und Datenschutz aufmerksam machen. Das war auch ein Learning für mich.

 

Kontakt

Das Interview führte Nora Herrmann,Kommunalberatung Sachsen-Anhalt.

Tel.: 0341-99392313 E-Mail: nherrmann@dji.de

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